Seit 125 Jahren verbindet sich mit dem Namen »Messer« Kompetenz rund um das Thema Industriegase sowie Schweiß- und Schneidtechnik. Zugleich steht der Markenname auch für den engen Zusammenhang und die wechselvolle Geschichte zwischen Unternehmen und Familie. 100 % Messer - Die Rückkehr des Familienunternehmens von Dr. Jörg Lesczenski
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Die Geschichte der Messer Group
Leseprobe "100 Prozent Messer"
Adolf Messers früher Weg ins Auslandsgeschäft
Adolf Messer wurde am 6. April 1878 in Hofheim/Taunus als Sohn von Johann Matthäus und Margarethe Messer geboren. Noch als Maschinenbaustudent gründete er 1898 im Alter von 20 Jahren eine kleine Werkstatt, die schnell mit dem Bau von Acetylenentwicklern und -beleuchtungskörpern erste Erfolge erzielte. Sehr früh schaute Messer auch über die deutschen Marktgrenzen hinaus. In den ersten sieben Jahren nach der Betriebsgründung fanden etwa 300 Anlagen ihren Weg ins Ausland.
Da Beleuchtungsanlagen mit Acetylen zunehmend unter der Konkurrenz des Gasglühlichts und elektrisch betriebener Beleuchtungssysteme litten und überdies Acytelen zum Kochen oder Heizen weniger nachgefragt wurde, sah sich Adolf Messer schnell gezwungen, das Produktionsprogramm neu auszurichten: Er nahm das autogene Schweißen auf und lieferte noch vor dem Ersten Weltkrieg erste Luftzerlegungsanlagen ins Ausland. Die Expansion des Unternehmens spiegelte sich vor allem auch in der Gründung von Filialen und Tochtergesellschaften im In- und Ausland wider, die sich zu einem überaus wichtigen Standbein für das Unternehmen entwickelten. Der Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 setzte der Expansion im Ausland ein vorläufiges Ende. Im schwierigen wirtschaftlichen Umfeld der Nachkriegszeit ab 1918 bemühte sich Adolf Messer mit viel persönlicher Energie darum, Exportmärkte wiederzugewinnen, nachdem die Beteiligungen in Großbritannien und den USA beschlagnahmt und versteigert worden waren. Das Unternehmen baute in den 20er-Jahren die Kontakte zu ausländischen Kunden wieder auf und festigte im Inland in der Sparte Schweiß- und Schneidtechnik wieder seine Marktposition, da die Produktionsstätten den Ersten Weltkrieg nahezu ohne Schäden überstanden hatten.
Obwohl es Messer gelang, das Produktportfolio fortlaufend auszudifferenzieren und technisch zu modernisieren, machte die Weltwirtschaftskrise 1929 - 1932/33 auch vor Messer nicht halt. Der weltweite Zusammenbruch der Konjunktur führte zum dramatischen Absturz der industriellen Produktion. Umsatzeinbruch und Arbeitsplatzabbau bestimmten seit den späten 20er-Jahren auch den Geschäftsalltag Messers.
Das Frankfurter Unternehmen bewegte sich nach dem Untergang der Weimarer Republik 1933 in einem gesamtwirtschaftlichen Umfeld, das sich von der schweren ökonomischen Krise zunehmend erholte. Die Talsohle der Rezession hatte die deutsche Industrie im Frühjahr 1933 bereits durchschritten, der nun die weltwirtschaftliche Belebung und die durch das NS-Regime mit Rüstungs- und Beschäftigungsprogrammen gepushte Staatskonjunktur zugute kam. Auch bei der Messer & Co. GmbH stand der Geschäftsalltag zusehends im Schatten der forcierten Aufrüstung, die für Bestellungen etwa des Heereswaffenamts sorgte, das mehrere Aufträge für die Konstruktion von Sondermaschinen erteilte. So wurden mit Hilfe von Messers Elektroschweißgeräten Panzerwannen gefügt, die Widerstandsschweißtechnik verbessert, um Druck- und Hohlkörper gasdicht zu verschließen, oder die Raumkurven-Brennschneidemaschine Nivosec entwickelt, die es ermöglichte, gepresste Panzerkuppeln für Panzerkampfwagen dreidimensional zu bearbeiten. Des Weiteren war das Unternehmen in die Forschungsarbeiten zum Bau von Raketenwaffen eingebunden, die das Heer seit 1936 erprobte, und lieferte vier Großanlagen an die Heeresversuchsanstalt Peenemünde, die der Erzeugung von Flüssigsauerstoff dienten.
Mit dem Vormarsch der Alliierten in den letzten Kriegswochen kamen im Frühjahr 1945 schrittweise alle Produktionsstätten Messers zum Erliegen. Die rund drei Jahre zwischen Kriegsende am 8. Mai 1945 und der Währungsreform wurden durch Improvisationen auf allen Gebieten bestimmt. Für die Unternehmensentwicklung in der Nachkriegszeit erwies es sich als ein unschätzbarer Vorteil, dass es trotz der verheerenden Folgen der aggressiven Außenpolitik des NS-Staates schnell gelang, die Beziehungen zu langjährigen Geschäftspartnern im Ausland auf eine vertrauensvolle Basis zu stellen. Im April 1946 hatte Adolf Messer etwa Raoul Amédéo, kurz darauf auch seine Söhne Pierre und Jean zu Gast, um die Zusammenarbeit in der Société Française des Appareils et Procédés Messer aufleben zu lassen. Noch bevor Adolf Messer am 13. Mai 1954 schwer erkrankt starb, hatte er die Weichen gestellt, um das Unternehmen weiter in Familienhand zu halten: Ein Jahr vor seinem Tod, in seinem 75. Lebensjahr, hatte er sich entschlossen, die Verantwortung für die Gesamtleitung des Unternehmens seinem Sohn Hans zu übertragen.
Auf dem Weg zum Weltunternehmen - die Ära Hans Messer (1953 - 1993)
Mit dem noch jungen Hans Messer an der Unternehmensspitze, der im Alter von 28 Jahren seinen Vater Adolf als verantwortlicher Geschäftsführer ablöste, partizipierte die Adolf Messer GmbH an der blühenden Konjunktur der 1950er-Jahre.
Zum Wachstum Messers in der frühen Bundesrepublik trugen indes nicht nur die Geschäfte mit den Schlüsselbranchen des „Wirtschaftswunders“ (Hütten- und Schiffbauindustrie etc.), sondern auch die zahlreichen Gründungen von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften im Ausland bei. Nachdem das Wachstum des Unternehmens in den frühen 1960er-Jahren an interne Grenzen stieß, fusionierte die Adolf Messer GmbH 1965 mit Teilen der Knapsack- Griesheim AG, die zum Konzernverbund der Hoechst AG gehörten, zur Messer Griesheim GmbH.
Mit der Fusion verlor die Familie Messer zumindest auf dem Papier an unternehmenspolitischer Macht, veränderten sich doch die Eigentumsverhältnisse im Unternehmen grundlegend: Das Stammkapital in Höhe von zunächst 30 Millionen DM wurde nun zu 66 2/3 Prozent von Hoechst und zu 33 1/3 Prozent über die Messer Industrie GmbH von der Familie Messer gehalten.
Obgleich das fusionierte Unternehmen als Firma eines großen Konzernverbunds an den Start ging, verstand es die Familie, ihren Einfluss auf die Geschichte Messer Griesheims über die Grundsatzvereinbarung zwischen Hans Messer und der Hoechst AG auf Dauer abzusichern. Wie im Vorfeld zwischen Hans Messer und Karl Winnacker vereinbart, wurde die ständige Präsenz der Familie in den Führungsgremien festgeschrieben. Die Geschäftsführung sollte „aus mindestens drei, höchstens vier Personen bestehen. Die Familie Messer ist berechtigt, solange ihre Beteiligung nicht unter zehn Prozent absinkt, einen Geschäftsführer, Hoechst ist berechtigt, zwei Geschäftsführer vorzuschlagen“. Weiter heißt es: „Jede Partei wird dem Vorschlag der anderen Partei bei der Bestellung der Geschäftsführer entsprechen, wenn nicht ein wichtiger Grund in der Person des Vorgeschlagenen entgegensteht.“
Einfluss erhalten
Zum ersten Vorsitzenden in der Geschäftsführung wurde Hans Messer ernannt, „solange er dies selbst wünscht“. Darüber hinaus verständigten sich beide Parteien darauf, einen Gesellschafterausschuss zu konstituieren, „in den Hoechst und die Familie Messer je zwei Mitglieder entsenden“ und der „insbesondere der Geschäftsführung gegenüber weisungsberechtigt sein soll“. Schließlich legte die Grundsatzvereinbarung unternehmenspolitische Entscheidungen fest, die „einer Mehrheit von 75 Prozent bedürfen“. Dazu gehörten unter anderem eine „Änderung des Gesellschaftszwecks“, die „Aufnahme größerer Kredite“ oder die „Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern“. Hinzu kamen diverse familieninterne Vereinbarungen, um den Einfluss auf das operative Geschäft nicht zu gefährden. So beschlossen Hans und Ria Messer etwa, mit ihren Kindern eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die alle Familienmitglieder verpflichtete, ihre Stimmrechte in der Messer Griesheim GmbH künftig nur noch gemeinsam auszuüben. Der Vereinbarung vom 29. Juni 1979, die Hans Messer zum ersten Stimmführer bestimmte, schlossen sich auch die Familie von Erika Heberer (Tochter des Unternehmensgründers Adolf Messer aus erster Ehe) und die Adolf Messer Stiftung an. Kurzum: Trotz einer Beteiligung von „nur“ rund 33 Prozent gab es durchaus einen 100-prozentigen Einfluss der Familie auf die Unternehmenspolitik.
Neue Anwendungen
Im zweiten Jahrzehnt nach ihrer Gründung zeigte sich rasch, dass es der Messer Griesheim GmbH gelungen war, Synergiepotenziale zu bilden, die nun konsequent ausgeschöpft wurden. Der weltweite Umsatz stieg seit 1975 im Sog einer mehrjährigen gesamtwirtschaftlichen Erholungsphase kontinuierlich, durchbrach 1978 erstmals die Schallmauer von einer Milliarde DM und lag 1984, im bis dahin erfolgreichsten Geschäftsjahr Messer Griesheims, mit über 1,7 Milliarden DM etwa doppelt so hoch wie zehn Jahre zuvor.
Der eigentliche Motor des Wachstums blieb das Geschäft mit Industriegasen, das zwischen 1975 und 1989 rund 70 Prozent zum Gesamtumsatz beitrug. Es zahlte sich für das Unternehmen vor allem aus, dass es gelang, neben den traditionellen Kunden in der Stahl-, Schiffbau, Automobil- und chemischen Industrie dank intensiver Forschungsarbeit neue Anwendungen für komprimierte und verflüssigte Gase, Gasgemische und Spezialgase zu erschließen und junge Wachstumsbranchen als Geschäftspartner zu gewinnen.
Nach der Erosion des „Eisernen Vorhangs“ in Osteuropa verstand es Messer Griesheim ebenfalls, die neuen Marktchancen in den ehemals sozialistischen Staaten zu nutzen, bevor im Frühjahr 1993 in der Geschichte Messer Griesheims eine Ära ihr Ende fand. Nach 40 Dienstjahren als Geschäftsführer zog sich Hans Messer, gemäß der Vereinbarung mit der Hoechst AG, im Alter von 68 Jahren aus dem operativen Geschäft des Unternehmens zurück. Allerdings blieb er dem Unternehmen in veränderten Funktionen erhalten und gehörte bis zu seinem Tod 1997 dem Gesellschafterausschuss und dem Aufsichtsrat an.
Krisen, Turbulenzen, Aufbrüche - vom Global Player zu "100 Prozent Messer" (1993 - 2004/5)
Nach dem Rückzug Hans Messers aus der Geschäftsführung wurden in den 1990er-Jahren das jahrelange harmonische Arrangement zwischen der Messer Industrie GmbH und der Hoechst AG sowie die Position der Familie im Unternehmen gleich aus mehreren Richtungen massiv bedroht.
Hans Messer übergab 1993 die Verantwortung für die Unternehmensleitung an Herbert Rudolf (einen familienfremden Manager, der zuvor das Auslandsgeschäft Messers in den USA erfolgreich geführt hatte).
Unter Herbert Rudolf schlug Messer Griesheim einen aggressiven Globalisierungskurs ein, der am Ende scheiterte. Die zahlreichen und teils hochriskanten Zukäufe und Neugründungen ausländischer Unternehmen und Tochtergesellschaften mündeten in eine exorbitante Verschuldung, die kurz vor der Jahrtausendwende zur Ablösung Rudolfs und zur deutlichen Korrektur der Geschäftspolitik führen sollte. Damit nicht genug: Was über Jahre die Entwicklung der Firma wie selbstverständlich mitbestimmte, wurde nach dem Abschied Hans Messers aus der Geschäftsleitung vom Nachfolger scharf in Frage gestellt. Herbert Rudolf zielte offen darauf ab, den Einfluss der Familie auf die laufenden Geschäfte möglichst ganz auszuschalten.
Schulden und Passivität
Die Unternehmenspolitik Messer Griesheims stand in den 1990er-Jahren in einem engen Zusammenhang mit den strategischen Zielen des Hoechst-Konzerns, der sich seit 1994 auf die Kerngeschäfte Pharma, Agrochemie und industrielle Chemie konzentrierte und darauf aus war, seine Zweidrittelmehrheit an Messer Griesheim abzustoßen. Es folgten jahrelange Debatten über die zukünftige Eigentümerstruktur der Messer Griesheim Gruppe und eine bemerkenswert passive Haltung des Hoechster Vorstands gegenüber der rasant steigenden Verschuldung Messers. Frühzeitige Hinweise aus dem Familienkreis auf den drohenden Firmenkollaps wurden beiseitegeschoben, und Herbert Rudolf bekam eine unantastbare Position eingeräumt.
Nachdem der Börsengang scheiterte und der lange favorisierte Verkauf des Unternehmens an die Linde AG in letzter Minute an drohenden kartellrechtlichen Hürden scheiterte, gingen die Hoechst/Aventis-Anteile an Messer Griesheim schließlich im April 2001 an die Finanzinvestoren Goldman Sachs und Allianz Capital Partners über, die gleichfalls zwei Drittel der Nettoschulden übernahmen, die im Frühjahr 2001 beträchtliche 1,72 Milliarden Euro betrugen.
Abschied und Einstieg
Schließlich gefährdeten auch familiäre Entwicklungen den Fortbestand der Firma. Thomas Messer, ältester Sohn von Hans Messer, lehnte es etwa ab, weiter „die Verantwortung für die Erhaltung und Entwicklung des unternehmerischen Familienbesitzes (zu) tragen“, da er seine Zukunft selbst gestalten wollte. Im Dezember 1996 schied Thomas Messer aus der Messer Industrie GmbH aus und verschenkte den größten Teil seiner MIG-Anteile an die gemeinnützige Adolf Messer Stiftung.
Als in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre das Schicksal Messer Griesheims auf dem Spiel stand, brachte Stefan Messer, zweitgeborener Sohn des 1997 verstorbenen Hans Messer, immer deutlicher zum Ausdruck, dass der Familieneinfluss auf das Unternehmen langfristig erhalten bleiben sollte. So kaufte er 1999 das Tochterunternehmen Messer Cutting & Welding aus der Messer Griesheim GmbH für die Familie heraus.
Ein Jahr später fusionierte der Bereich Schweiß- und Schneidtechnik unter der Regie des amerikanischen Finanzinvestors Carlyle mit der schweizerischen Castolin Eutectic zur Messer Eutectic Castolin Gruppe – an der neuen Gesellschaft wurde die Familie Messer mit 36 Prozent beteiligt.
Sanierung und Neubeginn
Bei Messer Griesheim, wo das größere Industriegasegeschäft verblieb, bestimmte nach der Jahrtausendwende unter dem Einfluss der Finanzinvestoren zunächst die Sanierung und Entschuldung die Unternehmenspolitik. Messer Griesheim stieß eine Vielzahl seiner Beteiligungen ab, konzentrierte sich auf ausgewählte Kernregionen und schloss seine „Verschlankung“ mit Erfolg ab. Als folgerichtig seit dem Herbst 2003 erneut über die Zukunft Messers diskutiert wurde, entschloss sich ein Teil der Familie unter Führung von Stefan Messer (durchaus zur Überraschung der Finanzinvestoren), die Verantwortung für das Unternehmen wieder selbst in die Hand zu nehmen, trennte sich von den Geschäften in Deutschland, USA und Großbritannien und erwarb die Anteile von Goldman Sachs und Allianz Capital Partners.
Seit Mai 2004 ist die ehemalige Messer Griesheim Gruppe als Messer Group GmbH wieder ein inhabergeführtes Industriegase-Unternehmen. Stefan Messer erwarb Anfang des Jahres 2005 schließlich auch die Beteiligung des Finanzinvestors Carlyle an der Messer Eutectic Castolin Gruppe und führte damit in Familienhand zurück, was sein Großvater Adolf Messer vor mehr als hundert Jahren gegründet und was sein Vater Hans Messer nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebaut hatte – ein international aufgestelltes Unternehmen in den Bereichen Industriegase sowie Schweiß- und Schneidtechnik.
Von der Rückkehr der Familie bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise (2004/5 - 2010)
Es zeigte sich schnell, dass die Zeit für die Rückkehr der Familie in das operative Geschäft kaum günstiger hätte sein können: Die Reorganisation der nun wesentlich kleineren Unternehmensgruppe wurde durch einen mehrjährigen weltwirtschaftlichen Boom wesentlich erleichtert. Bei der Neujustierung der Unternehmenspolitik standen zwei strategische Ziele im Vordergrund: Mit dem Projekt „Independence“ wurde in den nächsten rund drei bis vier Jahren die Unabhängigkeit bei der Produktversorgung so weit wie möglich wiederhergestellt. Daneben baute Messer seine Präsenz auf den chinesischen Märkten mit ihren spektakulären jährlichen Wachstumsraten wesentlich aus. Wurden zunächst Luftzerlegungsanlagen für Stahlfirmen errichtet, gehörten zunehmend auch Unternehmen der Lebensmittelindustrie, der Chemie- und Elektronikindustrie zu den Abnehmern.
Wiedereintritt in den deutschen Markt
Bei der Geschäftsleitung stand noch ein weiteres Ziel weit oben auf dem Merkzettel. Messer wollte zurück auf den deutschen Markt. Da bis 2008 in Deutschland keine Gase unter dem Markennamen Messer vertrieben werden durften, gründete Stefan Messer die Gase.de Vertriebs-GmbH mit Sitz in Sulzbach. Seit dem 6. Mai 2007 gingen 35 Mitarbeiter daran, Gase in Flaschen und Tanks etwa an metallverarbeitende Firmen und Lebensmittelhersteller zu liefern. Im November 2007 gelang der Gase.de Vertriebs-GmbH ein bemerkenswerter Coup, die mit den Deutschen Edelstahlwerken einen ersten Großkunden gewann.
Die große Stunde schlug zwölf Monate später. Ab dem 7. Mai 2008 setzte die Messer Industriegase GmbH die Arbeit der Gase.de Vertriebs-GmbH in Deutschland fort.
Gleichzeitig gab Stefan Messer den zweiten Großkunden im Deutschland-Geschäft bekannt. Die neue Messer-Gesellschaft investierte 50 Millionen, um die Salzgitter Flachstahl GmbH und ihre Tochtergesellschaft Peiner Werke über ein Rohrleitungssystem für wenigstens 15 Jahre mit Sauerstoff zu versorgen. Die Bilanz der neuen Messer-Tochter konnte sich am Jahresende bereits sehen lassen. Die Messer Industriegase GmbH hatte zwei Großkunden an Bord und seit Mai über 150 neue Kunden für Flaschengase gewonnen.
Krisenjahre?
Nachdem das kräftige globale Wirtschaftswachstum über rund vier Jahre Messer in die Karten gespielt hatte, drehte sich seit dem Herbst 2008 der Wind. Eine ungezügelte expansive Geldpolitik, die leichtfertige Vergabe von Krediten und Versäumnisse bei der Regulierung der Finanzmärkte ließen in den USA die Immobilienblase platzen. Ein massiver Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten und die Lähmung der Geldkreisläufe zwischen den Banken rissen die Weltwirtschaft im Spätsommer in eine tiefe Krise.
Auch Messer blieb von der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht verschont, die sich regional recht unterschiedlich auswirkte. Ein besonders schweres Jahr erlebte die Unternehmensgruppe in Zentraleuropa, der Ukraine, den baltischen Ländern und in Südosteuropa. Besser als erwartet liefen dafür die Geschäfte in Westeuropa, wo Messer die breite Kundenstruktur zugute kam. Darüber hinaus trug namentlich die Expansion auf dem deutschen Markt zu einem brauchbaren Ergebnis in Westeuropa bei. Noch wichtiger waren 2009 aber die starke Präsenz und der wirtschaftliche Erfolg in China. Messer profitierte beträchtlich von einem neuen Joint Venture mit dem Stahlproduzenten Panzhihua Iron & Steel der Pangang Gruppe (Sichuan Pangang Messer Gas Products Co. Ltd.). Mit dem Startschuss der Kooperation konnte Messer bereits seit dem 1. September 2009 Umsätze in erheblicher Größenordnung generieren, die positiv auf das Gesamtergebnis des Konzerns zurückwirkten (ein leichtes Umsatzplus von 0,2 Prozent auf circa 797 Millionen Euro).
Von dem Schock der Rezession erholte sich die Weltwirtschaft schneller als erwartet. Auch Messer ließ die Finanz- und Wirtschaftskrise Schritt für Schritt hinter sich. In China baute Messer seine gute Marktposition weiter aus, in Vietnam fiel der Startschuss für die erste On-Site-Anlage, der Aufschwung in Westeuropa wurde von einem guten Geschäftsklima in Italien, Spanien und besonders in Deutschland getragen. Geduld war dagegen auf den südosteuropäischen Märkten gefragt. Hier blieben die Ergebnisse noch hinter den Zahlen des Geschäftsjahres 2008 zurück.
Inmitten der Weltwirtschaftskrise begann für Stefan Messer seine bis dato schwerste persönliche Leidenszeit. Die niederschmetternde Diagnose „Zungenkrebs“ 2008, die Suche nach geeigneten Therapien und Rückschläge bei der Behandlung setzten ihm schwer zu. Einer schwierigen Operation folgten in den nächsten Monaten Schritt für Schritt die Genesung und die Rückkehr in den Chefsessel. Zu den Risikofaktoren für die Funktionsfähigkeit eines Familienunternehmens gehören auch Scheidungen samt der sprichwörtlichen „Rosenkriege“. 2012 wurde die Ehe von Stefan und Petra Messer geschieden – ohne allerdings das Familienunternehmen zu belasten. Im Januar 2015 ging Stefan Messer mit Jenjira Najaroen seine zweite Ehe ein und durfte sich schon bald über Familienzuwachse freuen. Am 12. Mai 2016 brachte seine Ehefrau Zwillinge zur Welt.
Unruhige Zeiten - und eine neue Ära (2011 - 2020)
Auch wenn sich die Turbulenzen auf den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft gelegt hatten und Messer obendrein 2011 erstmals einen Umsatz von etwas über eine Milliarde Euro erzielte, vertiefte sich in der Geschäftsführung der Eindruck, dem Unternehmensalltag in einer von Um- und Aufbrüchen geprägten Zeit nachzugehen. Ein unruhiges wirtschaftliches Umfeld, die Euro- und Staatschuldenkrise, internationale politische Krisen („Krim-Krise“ etc.), aber auch gesellschaftliche Megatrends wie der demographische Wandel (Zunahme der Weltbevölkerung, fortschreitende Urbanisierung etc.), Knappheit wichtiger Ressourcen wie Wasser und Energie, der Klimawandel, neue Technologien (Digitalisierung) sowie der Trend zur globalen Wissensgesellschaft bestimmten den Planungsprozess fortan wesentlich mit. Die fortlaufenden und zahlreichen neuen Herausforderungen ging Messer seit April 2011 von der neuen Konzernzentrale in Bad Soden aus an.
Zuwächse in Asien, verhaltenes Wachstum in Europa
In der Investitionspolitik setzte sich nach der Finanz- und Wirtschaftskrise ein wesentlicher Trend fort. Die Geschäfte in Asien gewannen für Messer weiter an Bedeutung. In China ging der Konzern neue Partnerschaften abseits der Stahlindustrie ein und investierte nun auch vermehrt in Mitgliedstaaten der südostasiatischen ASEAN-Gruppe. Als „neu aufgehender Stern“ gilt besonders Vietnam, wo die langjährige Zusammenarbeit mit dem Stahlproduzenten Hoa Phat ausgebaut wurde. In anderen ASEAN-Staaten betrat Messer Neuland. Gehöriges Wachstumspotenzial sieht die Geschäftsführung besonders in Malaysia. Erste Türen öffnete Messer auch in Thailand. Hier wurde eine Vertriebsgesellschaft gegründet.
Obwohl in Westeuropa die Kräfte auf die Kernmärkte konzentriert wurden, gab die Strategie, auf Nischenmärkte zu setzen, in den vergangenen Jahren lediglich moderate Zuwächse von von einem bis zwei Prozent her. In Ost- und Südosteuropa war es in den letzten Jahren ebenfalls schwierig, nennenswert zu wachsen. Messer blieb gut aufgestellt, investierte in den Bau neuer Produktionsanlagen und agierte in Südosteuropa vielfach als Marktführer mit hoher Profitabilität. Das Problem: Messer bedient nur kleine Märkte, verbuchte allerdings in Polen und Ungarn bemerkenswerte Erfolge.
Eine neue Ära
Die Ankündigung der beiden Branchenriesen Linde AG und Praxair Inc. einer Fusion entgegenzusteuern und die Auflage der zuständigen Kartellbehörden, dass ein Zusammenschluss nur zu haben ist, wenn die Großkonzerne nennenswerte Geschäftszweige veräußern, brachte die Industriegasebranche unlängst kräftig in Bewegung und wird auch die Marktstellung Messers erheblich verändern. Da es kaum noch möglich ist, aus eigener Kraft zu wachsen und signifikant größere Anteile auf dem Weltmarkt tendenziell nur noch über Zukäufe zu erzielen sind, stieg die Geschäftsführung in die Gespräche mit Linde und Praxair ein. Die neu gegründete Messer Industries GmbH – ein Joint Venture von Messer mit dem Finanzinvestor CVC Capital Partners – hat im März 2019 von Linde/Praxair in den USA, Kanada, Kolumbien, Brasilien und Chile unter anderem 44 Luftzerlegungsanlagen erworben. Summa summarum hat sich das Geschäftsvolumen der Unternehmensgruppe am 1. März 2019 nahezu verdoppelt.
Die vierte Generation
Geht es nach Stefan Messer, wird die Unternehmensgruppe auch in der Zukunft ein Familienunternehmen bleiben. Derzeit ist die Familie dabei, die Regelung der Nachfolge und die Weitergabe der unternehmerischen Verantwortung an die vierte Generation langsam vorzubereiten. Sein Sohn Marcel, 1988 geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre an der European Business School in London, stand anschließend in Diensten der Fondsgesellschaft BlackRock Inc. und entschied sich unlängst, seine weitere berufliche Laufbahn bei Messer fortzusetzen. Seit Mai 2018 lernt er das Gasegeschäft von der Pike auf kennen. Stefan Messers Tochter Maureen (geboren 1984) studierte in Bristol an der University of the West of England Sprachen und Pädagogik und arbeitete anschließend als Sprachlehrerin für Englisch in Paris. Ihr Ehemann Cédric Casamayou arbeitet mittlerweile ebenfalls in der Unternehmensgruppe.
Dr. Jörg Lesczenski, Autor von „100 Prozent Messer“